Christian Fischer beschrieb die Ereignisse vom 5. Oktober 1727, die dem Ausflug in den sogenannten Großbosischen Garten (1) vorausgingen, wie folgt:
Nach Tische ließ ich mich bey Hr. Mag. Gotsched, aus Königs=
berg, melden, und gieng mit Hr.n Gerlach auch so fort zu Ihn.
Es Kahm dazu ein geschickter Magister aus Leipzig . Meine
Absicht war in die Kirche zu gehen ; aber, wir verfielen
in allerhand Discuse, zum Theil , de nova Philosophia, wel=
chen die Herrn Magistri zugethan waren , und verweileten
uns, bey Theé und Wein, biß nach der Vesper. (2)
Es ist faszinierend, die Themen der Gespräche zu verfolgen, an denen der Autor unserer „Reisetagebücher (…)” teilnahm oder denen er bei Begegnungen mit Gelehrten, Hofräten, Medizinern, Kämmerern oder Reisenden, die er auf seiner Reise traf, zuhörte. Nicht weniger interessant ist es, die Gedanken von Christian Fischer oder die Behauptungen seiner Gesprächspartner zu erfahren. Das Lesen und die Interpretation sowie die Übersetzung einer so faszinierenden Lektüre wie des Manuskripts eines gebildeten, hochintelligenten und neugierigen Mannes, den das Schicksal dem jungen Nathanael Gerlach auf seiner Reise durch das Europa der 1720er Jahre in den Weg stellte und zu seinem Vormund machte, macht uns zu Teilnehmern eines allzu spannenden Abenteuers und versetzt uns gewissermaßen in die Vergangenheit.
Stellen wir uns nun vor, daß wir uns in der Gesellschaft von Ch. Fischer und N. Gerlach befinden, und wir gehen mit ihnen in den sogenannten Großbosischen Garten:
Hienach giengen wir in den großen Bosenschen Garten, welcher
in einer Sandgrube angeleget, und daher mit verschiedenen
Terrassen reguliret ist. Der Garten ist starck mit wohlgezo=
genen Fruchtbäumen , Hoch und Kleinstämmiger Art, besezt.
Darunter spazierte eine große Menge Volcks, welches die
Kleinigkeiten im Garten admirirte. (3)
Im Leipzig-Lexikon steht unter der Schlagwortzeile: Großbosischer Garten:
„Der Großbosische Garten war vom 17. bis ins 19. Jahrhundert ein barocker Bürgergarten in der Ostvorstadt von Leipzig. Er war rechteckig geschnitten und befand sich ungefähr zwischen der heutigen Johannisgasse, Talstraße und Seeburgstraße sowie Roßplatz.
Der Leipziger Ratsherr C. Bose (4) (1645-1700) ließ den Garten im Jahr 1685 durch den Architekten und Mathematiker L. C. Sturm (5) (1669-1719) im französischen Stil anlegen. In seinem östlichen Teil befanden sich eine Orangerie, das Palais und Nebengebäude. Außer den prächtigen Gartenanlagen an zahlreichen Alleen und Wegen gehörten auch Statuen des Dresdner Bildhauers Hermann, ein Naturalienkabinett mit Bibliothek, Herbarium und Kupferstichsammlung sowie eine Rüstkammer zur Ausstattung des Gartens. In ihm wurden regelmäßig Konzerte gegeben.
Um 1835 gehörte der Garten dem Buchhändler C. A. Reimer (1858). Zu dieser Zeit diente er als Nutzgarten, dessen Abteilungen an viele Leipziger Familien vermietet war, und beherbergte das Privattheater »Thalia« der Leipziger Buchdrucker.
Seit 1843 wurde das Grundstück des Großbosischen Gartens parzelliert. Auf ihm wurden 1843/1844 die Königsstraße (seit 1947 Goldschmidtstraße), Lindenstraße (seit 2001 Straße »An der Verfassungslinde«), Roßstraße (seit 2001 Auguste-Schmidt-Straße) und Bosenstraße (seit 1870 Nürnberger Straße) angelegt.(6)”
In der Sammlung des Bildarchivs in Marburg befindet ist ein Stich aus dem Jahr 1707, der auf dem Entwurf dieser prächtigen Garteneinrichtung von Leonhard Christoph Sturm aus dem Jahr 1685 basiert. (7)
Christian Fischer beschrieb auf diese Weise all die Curiositäten, die er in dem Großbosischen Garten gesehen und meist bewundert hatte:
(…) Es ist hie eine Kleine
Grotte, und eine Fontaine oben am Wege, mit vexir Waßern.
Auf der obern Terras ein verdeckter Gang, von vortreffl.
großen Blauen Wein , am untern eine schöne Gallerie,
zu Gewächßen . Im Garten sind einige Statuae von
Sandstein : Und einige tieffe und Raume Grube , die rund
umb mit Vogelhäusern bebauet ist , darinne man durch
die übergespanneten Neze sehen Kan. Jezt waren darinn,
Trappen , Phasanen, Lachtauben , Perl Hüner , Kleine weiße
Hüner , und allerhand Gesang Vögel . In dem einen Hause
sind allerhand Collectanea,(8) (…)
Im weiteren Text listet der Autor die in der Sammlung enthaltenen Artefakte auf. Am Rande unterteilt er sie in: Seminarium, Naturae curiosa, Insecta, Conchylia. Dies nimmt fast eine ganze Seite für ihn ein. Ein Zwischenblatt mit einer Zeichnung von Nathanael Gerlach verweist auf diesen Teil des Manuskripts:
In der Fortsetzung dieser spannenden Lektüre finden wir eine Beschreibung der Schubladen, in denen verschiedene Exemplare präsentiert wurden, sowie aller in- und außerhalb der Vitrinen gesammelten Objekte, darunter: Insekten, Muscheln, Federn, und:
(…) Über den Schaubladen
sind allerhand Curiosa , so eben nicht viel bedeuten.
Einige Panaches, ein Paar Armadilhos, einige Vespen= Nester,
ein Remis Nest, einige Hörner , einige Schildpat , einige
kleine Urnen, eine Menschen Haut , ein ausgestopter Hund,
von der Engell. Doggen Art , item: Deßen Sceleton, etc. (9)(…)
Und schließlich führt Christian Fischer uns in den Raum, in dem sich die Rüstkammer befindet. Der Autor unseres Manuskriptes war von den dort versammelten Exponaten nicht beeindruckt und kommentierte es sogar auf seine eigene Weise:
(…) Wär ich Rahts Herr in Leipzig : hätte
ich solch einen schönen Garten, so ließ ich die Schnurr=
Pfeiffen und Kleinigkeiten vom Garten bleiben, oder, zum
wenigsten nicht von Jedermann, ad ostentationem sehen.. (10)
Nachdem wir diese Kritik zur Kenntnis genommen haben, gehen wir zur Beschreibung der Pflanzen über, die Ch. Fischers Aufmerksamkeit erregten. Es gehörten dazu:
(…) 4. Sorten von Palmis ge=
funden, adß 1.) Palmum humilem, 2.) Latifolium, 3.) Corri=
geram, 4.) Dactyliferam. Item, Draconem, so groß alß
die zu Dreßden, welche von hie herstammen . Item, große
und sehr hohe Cereos , die oben, wenn sie abgeschnitten wer=
den, Äste treiben . Item, einen großen Pisang , oder Musa,
etwas größer alß die Kleinischen. Viel Caffeé Bäume . Viel
Echino melocactus, von der kleinen Art. Der große ist
weder in Dreßden noch Leipzig zu finden. (11)(…)
Et cetera… Weiter in diesem Absatz finden wir Beschreibungen anderer, mehr oder weniger exotischen Pflanzen.
Ich möchte jetzt aber unsere Aufmerksamkeit auf eine weitere Zeichnung richten, die der Autor zwischen den Seiten 114 und 115 platzierte. Sie stellt Echino Melocactos minor (…) dar, die zwar D. Schultz nach der Natur skizziert hatte, aber nicht im Bosischen Garten, sondern im Kleinischen, im Jahr 1723.
Zum Abschluss seiner Beschreibung des Großbosischen Gartens erwähnt Ch. Fischer:
An der Seiten dieses Gartens ist ein großer Hoff= Raum
mit einem Stall , darinn Biß 14. Stück Tann=Hirschen
herumb lauffen. (12)
Wir können nur bedauern, dass diese wunderbare Gartenanlage nicht bis zum heutigen Tag erhalten geblieben ist. Umso mehr schätzen wir die Reiseerinnerungen, die bis in unsere Zeit überlebt haben und uns an Beschreibungen von Orten und Ereignissen teilhaben lassen, die nur auf ihren Seiten weiterleben.
Alicja Siatka
p.s. Der Artikel ist Teil eines Transkriptionsprojekts des gesamten Manuskripts, das am Institut für Stadtkultur in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der Technischen Universität Danzig erstellt wurde.
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1. Nach dem Manuskript: Herrn Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise. aus seiner Vater-Stadt Danzig, durch Cahsuben, Pommern, die Marct Brandenburg, durch Sachsen, Hessen, durch die Wetterau, über den Rhein-Strom bis an die Niederländische Gräntzen : nebst denen dabey gesamleten Observatis Physico-Mathematicis, Oeconomicis, Mechanicis, Geographicis und Literariis : in einem accuraten Journal beschrieben und mit einem vollständigen Register versehen., 1727 – 1730, (Die Tagebücher einer Reise, die der Autor, Christian Gabriel Fischer aus Königsberg, in Begleitung eines Danziger Bürgers, Nathanael Iacob Gerlach, unternahm und deren Eindrücke er in einem Werk festhielt, das glücklicherweise bis heute erhalten geblieben ist und sich in der Bibliothek der Technischen Universität Gdańsk /ehem. Danzig/ befindet).
2. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.142, S.112. Originalschreibweise.
3. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.143, S.112, 113. Originalschreibweise.
4. Caspar Bose (geb. 1645 – gest. 1700) – Ratsherr aus einer Leipziger Patrizierfamilie. Inhaber eines erfolgreichen Gold- und Silberhandelsunternehmens. Zwischen 1680 und 1685 vergrößerte er nach und nach das Gartengelände seiner Familie am östlichen Stadtrand von Leipzig (vor dem Grimmaischen Tor) mit der Absicht, dort einen prächtigen Garten anzulegen. Auf diese Weise initiierte er Aktivitäten, die insbesondere im 18. Jahrhundert zur Anlage von etwa 30 prächtigen Barockgärten führten. Als sein Bruder Georg ebenfalls einen Garten anlegte (westlich der Stadt), erhielt der bestehende Bosische Garten den Namen Großbosischer, damit man sie unterscheiden konnte. Der Garten von Georg Bose wurde fortan so genannt: Kleinbosischer Garten. Neben dem Apels Garten, dem Gerhards Garten und dem Kleinbosischen Garten war der Großbosische Garten einer der berühmtesten Barockgärten Leipzigs, der weit über die Stadtgrenzen hinaus bewundert wurde.
5. Leonhard Christoph Sturm (geb. 1669 – gest. 1719) – deutscher Schriftsteller, Mathematikprofessor, Architekturtheoretiker und Baumeister. Unter anderem entwarf er: die Pläne für den Wiederaufbau der Stadt Calvörde nach dem Brand von 1700, das Projekt für den Wiederaufbau des Schlosses in Neustadt-Glewe, das Projekt für den Bau eines Schlosses am Universitätsplatz in Rostock etc.
6. www.Leipzig-Lexikon.de, Gärten und Parke, Großbosischer Garten.
7. Quelle: https://www.bildindex.de/document/obj30117316
8. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.143, S.113. Originalschreibweise.
9,10,11 Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.143, S.114,115. Originalschreibweise.
12. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.143, S.115. Originalschreibweise.