Christian Fischer beschrieb auf Seite 111 seiner „Reisetagebücher (…)” einen Spaziergang mit Nathanael Gerlach am 5. Oktober 1727 im Apels Garten, der damals am Stadtrand von Leipzig lag.
Weil es noch früh vor der Mahlzeit war, giengen wir vor
die Stadt, in Apels Garten. Darinn fand nichts Beson=
ders zu notieren. (…)
Diese kurze Notiz hätte wohl niemanden zu einem Besuch im Apels Garten motiviert, wenn dieses „Nichts” nicht in den folgenden Zeilen ausführlich beschrieben worden wäre, wofür der Autor eine ganze Seite und eine Fußnote benötigte.
„Die (Leipziger) Gärten sind so prächtig, als ich in meinem Leben etwas gesehen habe. Ich schicke Dir vielleicht einmal das Prospect von der Entree des Apelischen, der ist königlich. Ich glaubte das erstemal ich käme in die Elysischen Felder.”
An dieser Stelle lohnt es sich, ein wenig in die Geschichte der Gärten einzutauchen, um zu verstehen, warum sie so wichtig waren und so viele Emotionen weckten. Der Anblick des Apels Garten erinnerte J.W. Goethe an das Elysium, jenen Teil des Hades, den wir aus der griechischen Mythologie kennen und in den die Seelen der Gerechten und Helden wandern sollen. Es war das Reich von Kronos, dem Sohn von Gaia, der Mutter- Erde, und Uranos, dem Herrn des Himmels. Die alten Griechen glaubten, menschliche Seelen würden nach dem Tod gerichtet. Die Gerechten hatten das Recht, Wasser aus dem Fluss der Vergessenheit zu trinken – der Lethe – und wurden auf die elysischen Gefilde geleitet, das Land des ewigen Friedens, des Glücks, der Freiheit von allen Begierden und Leiden. Diese Felder wurden als paradiesische Wiesen oder Wälder beschrieben, wo der ewige Frühling herrscht, die Lyra-Musik ertönt und die Seelen im Schatten von Weihrauchbäumen spazieren oder sich amüsieren.
In der christlichen Tradition hat das Paradies oder das biblische Eden, ein von Gott geschaffener Garten, eine ähnliche Funktion. Die Namen der Flüsse, die in diesem Land des Glücks flossen: Pishon, Gichon, Chiddekel (Tigris) und Perat (Euphrat) könnten auf seine Lage im alten Mesopotamien hinweisen. In diesen Flüssen sollten Wasser, Wein, Honig und Milch fließen. In der Genesis finden wir keine detaillierte Beschreibung der Vegetation oder des besonderen Aussehens des Gartens Eden. Wir erfahren nur, daß er ummauert und geordnet war, daß dort viele Arten von Obstbäumen wuchsen und daß alle Lebewesen, die Gott dort ansiedelte, in völliger Harmonie lebten … bis zum Auftauchen von Adam und Eva, aber auf diese Geschichte wollen wir hier nicht eingehen.
Dank der intensiven Arbeiten der Archäologen verfügen wir über ein wirklich reichhaltiges Wissen über die von den antiken Zivilisationen angelegten Gärten. Im alten Ägypten gab es verschiedene Arten, u.a. Hausgärten und Tempelgärten. Mit dem alten Mesopotamien verbinden wir sofort die so genannten Hängenden Gärten der Semiramis, oder auch Hängenden Gärten von Babylon, die höchstwahrscheinlich an der Wende vom neunten zum achten oder im sechsten Jahrhundert v. Chr. entstehen sollen. Sie werden u.a. der assyrischen Königin Schammuramat oder dem 604-562 v. Chr. regierenden König Nebukadnezar II. zugeschrieben, der dieses berühmte Bauwerk in Babylon in der Nähe der Prozessionsallee und des Ischtar-Tors errichtet haben soll.
Zahlreiche bis heute erhaltene Flachreliefs und Wandmalereien zeigen Gärten mit üppiger Vegetation, oft voller Vögel und mehr oder weniger exotischer Tiere, in denen die Menschen speisten oder sich ausruhten.
Aus den Berichten über das antike Rom und den Forschungen über die noch heute erhaltenen Ruinen wissen wir viel über die Privatgärten der Herrscher des Römischen Reiches und der wohlhabenden Bürger. Vorbilder und Inspirationen stammten sowohl aus dem alten Griechenland als auch aus anderen eroberten Gebieten.
Auch im Mittelalter wurde die Kunst der Gartengestaltung nicht vergessen. Aus dieser Zeit stammen u.a. der hortus conclusus (z.B. von der Außenwelt abgeschlossener Klostergarten oder geometrisch geordneter Kräutergarten, aus dem die botanischen Gärten hervorgingen) und der hortus ludi, d. h. der Schlossgarten zur Unterhaltung.
Eine eigene Gruppe bilden die islamischen Gärten, von denen einige bis heute erhalten sind, zum Beispiel auf der iberischen Halbinsel. Sie waren auch eine Art Darstellung des Paradieses, basierend auf einem gut durchdachten Wassersystem mit einem zentralen Brunnen und Kanälen, die Flüsse symbolisierten.
In der frühen Renaissance haben wir es mit geordneten, ummauerten Gärten zu tun, die auf einem quadratischen Grundriss angelegt wurden. Ihre Flächen waren in geometrische Quartiere unterteilt, in denen Rasen angelegt und Blumen gepflanzt oder ausgesät wurden. Die hier wachsenden Büsche und Bäume wurden in geometrische Formen gestutzt. In diesen Bereichen wurden verschiedene Wassereinrichtungen angebracht: u.a. Wasserbassins, Springbrunnen und Kaskaden. Im Laufe der Zeit wurden sie erweitert und umgestaltet, um den Status und den Reichtum des Besitzers zu betonen, und es wurden sogar Räume für seine ausschließliche Nutzung eingerichtet.
In der Spätrenaissance, dem sogenannten Manierismus, wurden die Gärten theatralischer und dekorativer. Man hat sich bemüht, sie so zu gestalten, daß sie bei den Besuchern einen Überraschungseffekt auslösen. Mit Hilfe ausgeklügelter Mechanismen wurden mitunter sehr komplizierte Wassersysteme geschaffen. Inmitten des Grüns, an den Hängen und sogar im Inneren der Paläste wurden Grotten gebaut und mit reichem Skulpturen- und Stuckschmuck versehen.
In der Barockzeit traten französische Gärtner auf den Plan, die nach italienischem Vorbild repräsentative, symmetrische, sog. par-terre Anlagen schufen, in denen das Schlossgebäude des Besitzers dominierte. Sie organisierten den geometrisch gegliederten Gartenraum durch die Verwendung von ornamentalen Rasenflächen, Blumenrabatten, Bosketten, Baumgruppen und architektonischen Elementen.
Sie nutzten die vorhandene Landform, rahmten sie architektonisch ein und schmückten sie mit Skulpturen und verschiedenen Gartengebäuden. Die Dominante des Palast-Garten-Komplexes war die Residenz des Besitzers, der ein Vorhof vorgelagert war. Auf der gegenüberliegenden Seite des Schlosses befand sich ein weitläufiges Areal mit symmetrisch angelegten, reichhaltig gestalteten Zierparterres, die von sorgfältig gestutzten Buchsbaumhecken umgeben und durch Alleen getrennt waren. Die farbenfrohen Blumenbeete waren voll von blühenden Pflanzen. Die stickereiähnlichen Parterres zogen die Blicke auf sich, mit niedrig geschnittener Vegetation, die wie orientalische Teppiche geformt war. Alleen und Wege waren mit Kies oder Sand bestreut. In den reicheren Gärten gab es Wasserparterres mit von Skulpturen geschmückten Becken, in denen sich der Himmel spiegelte.
In eigens errichteten Gewächshäusern wurden wärmeliebende Pflanzen in Töpfen gezüchtet, insbesondere Orangenbäume, Granatäpfel, Lorbeer und Myrten u.s.w., die im Sommer entlang der Alleen oder in den Blumenbeeten aufgestellt wurden.
Im Barock beenden wir unseren kurzen Spaziergang durch die Gärten und kehren zurück zu Christian Fischers Beschreibung von Apels Garten, der im frühen 18. Jahrhundert angelegt wurde.
Dieser Garten verdankt seinen Namen dem aus Quedlinburg stammenden Leipziger Seidenhändler und Fabrikanten Andreas Dietrich Apel.
Die Idee von A.D. Apel war kein Einzelfall. Im 17. und 18. Jahrhundert ließen sich erfolgreiche Leipziger Kaufleute nach dem Vorbild französischer Könige prächtige Gärten vor den Stadtmauern anlegen, die vor allem ihren repräsentativen Zwecken dienten. Die Leipziger Barockgärten – Apels Garten, Großbosischer Garten, Kleinbosischer Garten und Richters Garten – waren weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und bewundert.
So beschrieb Christian Fischer 1727 den Apels Garten nach dem Spaziergang durch seine Alleen:
(…)Der Garten ist groß, hat breite Alees von
Linden, Castanien, und Kirschen mit Pyramiden, von Tannen
und Heydbüchen abwechseln. Die Rabbaten unter den Bäu=
men sind sehr breit , und mit Graß eingefaßt ; Dazwi=
schen stehen allerhand gemeine Sommer= und Winter= Ge=
wächse . Das Beste darunter waren schöne Pflanzen von
der Flore admirabili , und eine Art Indianischer Kürbse,
welche über eine Elle lang , und dicker , alß ein starcker
Mannes=Arm wuchsen. Bey den Aleen sind große breite
Graben umb den Garten gezogen , darinnen man mit Klei=
nen Treckschüten fahren Kan . Die Statuen sind von Sand=
stein , und grob gearbeitet.
Diese „grob gearbeiteten” Gartenskulpturen (Statuen), von denen es im Apels Garten mehrere gab, wurden von Paul Heermann und Balthasar Permoser geschaffen. Am Eingang wurden vollplastische Statuen aufgestellt, die die alten römischen Götter darstellten: Jupiter, Juno, Venus und Mars. Kopien von zwei von ihnen schmücken heute den Dorotheenplatz in Leipzig. In eigens dafür eingerichteten Nischen standen weitere Skulpturen von Permoser.
(…) Die Treibhäuser sind zwar
lang, aber niedrig; Darinnen stehet eine zahlreiche aber
Kleine Oranjerie von feinen Sorten : Darunter auch schöne
Cedro , und Pampelmußen. Die Caffée Bäume sind hie Klein
und die übrige Exotica alle im Kleinischen Garten zu Dan=
zig, beßer zu sehen, außer den malis insanis,a) so diesen Som=
mer getrieben worden. Im großen Gewächß Hauß, welches
alß eine Gallerie angeleget , hübsch gemahlet, und mit schö=
nen Töpffer=Offen versehen ist, stehen einige etwas große
Oranien Bäume , und eine starcke Anzahl von ansehnlichen
Lauriers, und Granatis.
Und schließlich ein paar weitere „Leckerbissen”, die der Autor unserer „Reisetagebücher(…)” gehört hat:
In diesem Garten Hause sollen S.e
Königl. Majs. aus Pohlen , wenn Sie Leipzig Besuchen, Tafel
halten. Man meinet auch , daß dieser Garten mehr dem
Könige alß dem Eigenthümer gehöre ; Maßen von diesem be=
Kannt, daß er, wegen schulden ein Indultum moratorium
vom Könige erhalten.
Author: Alicja Siatka
1. Nach dem Manuskript: Herrn Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise. aus seiner Vater-Stadt Danzig, durch Cahsuben, Pommern, die Marct Brandenburg, durch Sachsen, Hessen, durch die Wetterau, über den Rhein-Strom bis an die Niederländische Gräntzen : nebst denen dabey gesamleten Observatis Physico-Mathematicis, Oeconomicis, Mechanicis, Geographicis und Literariis : in einem accuraten Journal beschrieben und mit einem vollständigen Register versehen., 1727 – 1730, (Die Tagebücher einer Reise, die der Autor, Christian Gabriel Fischer aus Königsberg, in Begleitung eines Danziger Bürgers, Nathanael Iacob Gerlach, unternahm und deren Eindrücke er in einem Werk festhielt, das glücklicherweise bis heute erhalten geblieben ist und sich in der Bibliothek der Technischen Universität Danzig befindet).
2. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.139, S.111. Originalschreibweise.
3. Quelle: de.wikipedia.org
4. Quellen zur Geschichte Leipzigs. Veröffentlichungen aus dem Archiv und der Bibliothec der Stadt Leipzig. Gustav Wustmann, Leipzig 1895, S. 518.
5. Altes Testament, Millenniumsbibel, Poznań 2003, Genesis.
6. Andreas Dietrich Apel (geb. 1662 in Quedlinburg, gest.1718 in Leipzig) war einer der bedeutendsten Leipziger Kaufleute und Seidenfabrikanten. Im Jahr 1674 ließ er sich in Leipzig nieder, wo er von seinem zukünftigen Schwiegervater, dem Seidenhändler Jonas Barniske, eine kaufmännische Ausbildung erhielt.
7. Quelle: de.wikipedia.org, Abbildung bereitgestellt von Martin Geisler. Stadtgeschichtliches Museum Leipzig.
8. David Schatz (geb. 1667, gest. 1750) – einer der bedeutendsten Architekten und Gartengestalter des sächsischen Barock. Zu seinen wichtigsten Werken gehören der Entwurf und der Bau des Schlosses Knauthain in der Region Leipzig, Gestaltung des Apels Garten in Leipzig, Umbau des Schlosses Kötteritz in Dresden, Gestaltung des Schlossparks Zöbigker, Bau der Salvatorkirche in Gera, Umbau des Schlosses Burgscheidungen im Unstruttal, etc.
9. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.139, S.111. Originalschreibweise.
10. Paul Heerman (geb. 1673, gest. 1732) – deutscher Bildhauer des Barocks, der vor allem in Sachsen und Böhmen tätig war, bekannt für Werke wie das Troja-Palais in Prag, den Zwinger in Dresden, die Marmorbüsten mit den Jahreszeiten im Albertinum in Dresden, das Altarbild für die Thomaskirche in Leipzig u.a.
11. Balthasar Permoser (geb. 1651, gest. 1732) – deutscher Bildhauer des Barocks, ausgebildet u.a. in Salzburg, Wien und Italien. Bekannt ist er unter anderem für die Werke, die er für Herzog Cosimo III. in Florenz schuf. Er kam auf Einladung von Kurfürst Johann Georg III. nach Dresden, der ihn zu seinem Hofbildhauer machte. Unter anderem arbeitete er mit dem Architekten Matthäus Daniel Pöppelmann an der Ausgestaltung des Zwingers in Dresden zusammen.
12. Quelle: de.wikipedia.org
13,14. Alicja Siatka, Vorschlag für die Transkription der Fragmenten des Manuskripts: „Nathanael Iacob Gerlachs erste Reise (…)” nach deren Lektüre, März – April 2022, §.139, S.111. Originalschreibweise.
p.s. Der Artikel ist Teil eines Transkriptionsprojekts des gesamten Manuskripts, das am Institut für Stadtkultur in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der Technischen Universität Danzig erstellt wurde.